Ein Plädoyer für Giftpflanzen im Garten
Als ich am Pfingstsamstag einige Fingerhutpflanzen, die an ungünstigen Stellen aufgegangen waren, umgesetzt habe, musste ich etwas schmunzeln. Oh je, was gäbe es jetzt für einen Aufschrei in den Gartengruppen sozialer Medien. Fingerhut im Garten ist für viele schon ein No-Go – und ich setze diesen auch noch ganz ohne Handschuhe oder sonstigen Schutzmaßnahmen um. Das geht natürlich gar nicht! Was für ein Risiko!
Bin ich ein Risiko eingegangen? Nein, natürlich nicht, denn Fingerhut und andere Giftpflanzen wuchsen schon im Garten meiner Großeltern und Eltern. Ich weiß, dass ich allein von der Berührung der Pflanze keine Vergiftungserscheinungen bekomme, da ich die Pflanzen kenne. Das kann natürlich bei Menschen mit diversen Vorerkrankungen oder Wunden an den Kontaktstellen anders sein.
Ein Trend abseits der Natur hat sich entwickelt
Leider hat sich in den letzten Jahren ein trauriger Trend entwickelt. Giftpflanzen werden konsequent aus dem Garten verbannt und mit Stiel und Wurzel ausgerissen. Die Angst vor einer Vergiftung wurde durch das Internet so extrem geschürt, dass den Pflanzen keine Chance mehr gegeben wird. Die Giftigkeit von Pflanzen wird häufig übertrieben und oft erwächst der Eindruck, eine Informationsseite will die andere übertrumpfen.
Dabei sind Vergiftungen durch Pflanzen aus dem Garten oder Zimmer sehr selten. Schließlich verzichtet auch niemand aufs Kochen. Dabei sind Verbrühungen und Verbrennungen die zweithäufigste Unfallursache im Haushalt. Viel wichtiger wäre es doch zu lernen, mit den Giftpflanzen zu leben, denn die Schönheiten erfüllen auch wichtige Funktionen im Kreislauf der Natur.
Giftpflanzen im Garten und der Wohnung – was ist da giftig?
Übrigens sind in vielen Wohnungen und Gärten zahlreiche Giftpflanzen zu finden, von denen die Besitzer gar nicht wissen, dass sie giftig sind. Bei Maiglöckchen, Fingerhut, Schwarzer Nachtschatten oder der Engelstrompete wissen Sie sicher, dass diese Pflanzen giftig sind. Wussten Sie aber auch, dass Efeu, Kirschlorbeer, Monstera, Blauregen, Buchsbaum und Alpenveilchen giftig sind? Oder wie sieht es mit dem Rittersporn, dem Rhododendron, dem Salomonssiegel, dem Ritterstern, den Tulpen und Narzissen aus? Auch diese Pflanzen sind in vielen Teilen giftig. Selbst Bohnen, Kartoffeln oder grüne Tomaten – roh verzehrt – können Vergiftungserscheinungen hervorrufen. Wollen wir jetzt all diese Pflanzen aus dem Garten und von der Fensterbank verbannen? Oder wäre es nicht sinnvoller wieder zu lernen, mit diesen Pflanzen zu leben? Schließlich gibt es nicht nur im Garten und auf der Fensterbank giftige Pflanzen, sondern auch überall in der Natur.
Warum sind Pflanzen giftig?
Menschen und Tiere haben Hände und Füße, Krallen und Zähne, um sich zu wehren. Oder sie haben einen gesunden Fluchttrieb, der sie vor Feinden schützt. Pflanzen können nicht einfach weglaufen. Sie schützen sich mit Dornen oder giftigen Inhaltsstoffen, um zu überleben. Oft sind nicht alle Teile giftig, sondern nur die Teile, die zum Überleben wichtig sind wie die Samen. So konnten sich die Pflanzen über viele Jahrmillionen gegen Schädlinge und Feinde schützen. Das Gift in der Pflanze ist also eine natürliche Schutzfunktion.
Übrigens sind Giftpflanzen nicht für alle Lebewesen gefährlich. So ernährt sich der Nashornvogel von der hochgiftigen Brechnuss. Insekten sammeln auch in Giftpflanzen die Pollen, ohne einen Schaden zu nehmen. Andersherum ist zum Beispiel Lavendel für uns Menschen nicht nur eine giftfreie und schöne Blume, sondern auch ein wichtiges Heilkraut. Ganz anders sieht es für Hasen, Meerschweinchen und Hamster aus. Für diese Tiere ist Lavendel giftig. Giftpflanzen sind also nicht gleich Giftpflanzen. Für die Artenvielfalt sind sie aber eine wichtige Komponente.
Apropos Haustiere – da ist Vorsicht geboten!
Im Prinzip gehen auch Haustiere nicht an Pflanzen, die sie nicht kennen oder die giftig sind. Aber wie gesagt – im Prinzip. Ich habe einen Kater, der fast an jeder Pflanzen knabbern muss. Deshalb gibt es bei mir nur ausgewählte Zimmerpflanzen, die entweder nicht giftig sind oder von denen ich genau weiß, dass Katerchen nicht ran geht. Da sollten Sie früh Ihre Tiere genau beobachten, um Vergiftungen zu vermeiden. Im Freien ist das Angebot an frischem, giftfreiem Gras meist so groß, dass Tiere andere Pflanzen ignorieren. Lediglich auf dem Balkon und der Terrasse sollten Sie ein Auge auf Ihre Tiere haben, um zu vermeiden, dass diese an giftige Kübelpflanzen wie den Oleander gehen.
Die Dosis macht das Gift
Schon der im Mittelalter lebende Naturphilosoph Paracelsus wusste, dass die Dosis das Gift macht. Die Giftigkeit bestimmter Pflanzen war aber auch vor dem Mittelalter bekannt. Bereits in der Antike wurde Sokrates der berühmt-berüchtigte Schierlingsbecher gereicht. Könige und Kaiser schieden dahin – vergiftet durch Pflanzengifte. Doch das gleiche Gift, das vielen zum Verhängnis wurde, kann auch Gutes tun. Maiglöckchen und Fingerhut sind in Herzmedikamenten zu finden, Eibe und Mispel werden in der Krebstherapie eingesetzt und die Tollkirsche ist ein wichtiger Inhaltsstoff in Medikamenten zur Behandlung von kolikartigen Schmerzen. Und so gibt es noch viele Pflanzengifte, die eben auch helfen können und wichtiger Bestandteil unserer Medizin sind.
Ob Pflanzen eine Vergiftung hervorrufen, hängt von der Pflanze aber auch vom Menschen ab. Je nach körperlicher Verfassung reagieren Menschen unterschiedlich auf das Gift der Pflanzen. Und auch die Pflanzen sind nicht alle gleich. Je nach Standort, Klima und Vegetationsperiode beinhalten sie unterschiedliche Mengen an Toxinen. Selbst zwei nebeneinander stehende Pflanzen der gleichen Art müssen nicht die gleiche Menge an Toxinen beinhalten.
Wie wahrscheinlich ist eine Vergiftung durch Giftpflanzen?
Das kommt natürlich auf den Umgang mit den Pflanzen an. Laut einer Studie des Bundesinstituts für Riskobewertung gab es in einem Zeitraum von elf Jahren 8.620 Vergiftungsfälle. Lediglich 133 Vergiftungen sind davon auf giftige Pflanzen zurückzuführen. Diese entstanden meist durch Verwechslungen der Pflanzen. So sind Vergiftungen durch die Verwechslung von Bärlauch mit anderen Pflanzen relativ häufig. Alle anderen Vergiftungen waren auf Haushaltschemie, Alkohol, Nikotin, Medikamente & Co zurückzuführen. Natürlich hilft die Statistik all denjenigen, die sich eine Vergiftung zugezogen haben, nicht. Trotzdem zeigt es, dass Pflanzenvergiftungen weitaus seltener sind, als man bei dem Feldzug gegen Giftpflanzen vermuten mag.
Schützen und informieren statt vernichten!
Ohne Frage sollten Sie versuchen, Giftunfälle zu verhindern. Denken Sie aber daran, das betrifft nicht nur Ihre Kinder, sondern auch Sie. Das heißt aber nicht, dass Sie alle Giftpflanzen entfernen sollten. Letztendlich ist das sowieso nicht möglich, denn mit Giftpflanzen werden Sie überall konfrontiert – sei es der Garten, der Park in der Stadt oder der Wald. Selbst auf Schulanlagen sind Giftpflanzen zu finden. Deshalb sollten Sie Ihre Kinder schon früh aufklären und sich auch selbst mit den Pflanzen beschäftigen. Je seltener Kinder und Erwachsene Giftpflanzen sehen – weil sie eben entfernt wurden – desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Vergiftung, da die Pflanzen dann nicht erkannt werden. Und schließlich wollen Sie auf viele Pflanzen als Gärtner oder Gärtnerin nicht verzichten, da diese zur Selbstversorgung gehören, wie zum Beispiel Kartoffeln, Rhabarber oder Auberginen, die in einem bestimmten Wachstumsstadium auch giftig sind.
Aufklärung ist besser als Ausrottung. Oft sind nicht nur die Kinder unwissend, sondern auch die Eltern. Aber nur Wissen schützt Sie und auch unsere Natur.
Was tun, wenn das fast Unmögliche möglich geworden ist?
Manchmal ist es verrückt und eine fast unmögliche Pflanzenvergiftung tritt doch auf. Diese können sich durch verschiedene Symptome zeigen. Diese können Erbrechen, Durchfall, Krampfanfälle, Hautausschläge und anderes sein. Bleiben Sie ruhig und vermeiden Sie vorschnelle Hilfsmaßnahmen. Ein Anruf bei der Giftnotzentrale hilft Ihnen weiter. Kinder gehören sofort in ärztliche Behandlung. Aber auch Sie selber sollten sofort einen Arzt aufsuchen.