Pflanzen leben nicht nur von anorganischen Nährstoffen, bei denen es sich vorrangig um im Boden gelöste Salze handelt. Sie können auch anorganische Stoffe wie Mikroben aufnehmen und direkt verwerten. Dieser Vorgang wird als Rhizophagie bezeichnet.
Was ist Rhizophagie?
Die Tatsache, dass Pflanzen mit ihren Wurzeln Mikroben fressen können, lässt den Eindruck aufkommen, dass in der Landwirtschaft und im heimischen Garten auf anorganischen Dünger verzichtet werden könnte. James White, Professor für Pflanzenbiologie an der Rutgers University in New Brunswick in den USA, hat maßgeblich an der Erforschung dieses Phänomens mitgewirkt, das als Rhizophagie-Zyklus bezeichnet wird. Der Begriff Rhizophagie bedeutet „fressende Wurzel“ und stammt aus dem Griechischen. Mit ihren Wurzeln fressen die Pflanzen Bakterien.
Der Rhizophagie-Zyklus: ein wiederkehrender Prozess
Der Rhizophagie-Zyklus wird auch als Rhizophagie-Symbiose bezeichnet und bedeutet, dass Pflanzen in ihren Wurzelzellen symbiotische Bakterien abbauen. Die symbiotischen Bakterien und Pilze sind nicht krankheitserregend und versorgen die Pflanzen mit wertvollen Nährstoffen. Da sich die Mikroben im Inneren der Pflanzen befinden, werden sie als Endophyten bezeichnet. Der Rhizophagie-Zyklus ist ein wiederkehrender Prozess und funktioniert folgendermaßen:
- Endophytische Mikroben wachsen zunächst auf der Pflanzenwurzel, außerhalb des Wurzelspitzenmeristems.
- Im Wurzelspitzenmeristem findet die Zellteilung, das Pflanzenwachstum, statt. Die Pflanzen sondern darüber Kohlenhydrate und andere Nährstoffe ab, mit denen sie die Endophyten füttern.
- Endophyten nehmen die von der Pflanze gespendeten Nährstoffe sowie Nährstoffe aus dem Boden auf.
- Endophyten dringen in das Wurzelspitzenmeristem ein und transportieren die Nährstoffe in die Pflanze.
- Anschließend siedeln sich die Endophyten in der Zellwand der Wurzelzellen und in der Plasmamembran an.
- Die Endophyten verlieren ihre Zellwände und werden zersetzt.
Einige Endophyten überleben und geben Ethylen ab, mit dem sie das Wachstum der Wurzelhaare auslösen. Über die Spitzen der Wurzelhaare treten die Endophyten wieder aus und gelangen wieder in den Boden. Dort werden sie wieder von den Pflanzen aufgenommen. Der Zyklus wiederholt sich.
Mikroben des Rhizophagie-Zyklus: Wechsel zwischen verschiedenen Phasen
Im Rhizophagie-Zyklus wechseln die Endophyten zwischen zwei Phasen: Um in die intrazelluläre, endophytische Phase zu gelangen, dringen sie in die Zellen der Wurzelspitzen am wachsenden Meristem ein. Um in die andere Phase, die freilebende Bodenphase, zu gelangen, verlassen sie die Spitzen der Wurzelhaare wieder. In der freilebenden Bodenphase nehmen sie Nährstoffe aus dem Boden auf. In der intrazellulären Phase geben sie diese Nährstoffe an die Pflanzen ab.
Wurzeln und Mikroben: Zusammenarbeit mit mehreren Funktionen
Damit die Pflanzen aus der Rhizophagie viele Nährstoffe gewinnen können, müssen sie gute Wurzeln ausbilden. Ein Experiment zeigte, dass die Mikroben den Pflanzen in einem gut funktionierenden Rhizophagie-System ungefähr 30 Prozent des Stickstoffbedarfs zuführen können. Die Endophyten scheiden Ethylen aus, das zum Wachstum der Wurzelhaare stimuliert. Die Wurzeln scheiden verstärkt reaktiven Sauerstoff aus. Der reaktive Sauerstoff, das Superoxid, verbindet sich mit Stickstoffmonoxid zu Nitrat, einem wichtigen Nährstoff für die Pflanzen. Ethylen ist ein Stresshormon, das die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen gegen verschiedene oxidative Stressfaktoren stärkt:
- Schwermetalle
- Stress durch Klimawandel
- Hitze
- Bodensalze
Unterstützung der Pflanzen durch Endophyten: Gedeihen der Pflanzen fördern
Die Pflanzen verfügen von Natur aus über Endophyten, da sie ihnen angeboren sind. Mit den Samen werden die Endophyten von einer Pflanze an die nächste weitergegeben. Von ihren Wirtspflanzen erhalten die Endophyten Nahrung und Energie, während sie das Gedeihen der Pflanzen fördern. Sie nützen den Pflanzen in vielfacher Hinsicht:
- Versorgung der Wirtspflanze mit Nährstoffen wie Stickstoff und Spurenelementen
- Erhöhung der Widerstandskraft der Wirtspflanze gegen oxidativen Stress
- Schutz der Wirtspflanze vor Fressfeinden, da sie ihr bei der Bildung von Alkaloiden helfen
- Schwächung von Pilzen, die der Wirtspflanze schaden
- Förderung des Wachstums der Wirtspflanze
- Verbesserung der Wurzelentwicklung der Wirtspflanze
Gestörte oder fehlende Rhizophagie: reduzierte Nährstoffaufnahme der Pflanzen
Die Rhizophagie ist für die Nährstoffaufnahme und das Wachstum der Pflanzen wichtig. Fehlt dieser Prozess, können die Pflanzen weniger Nährstoffe aufnehmen und entwickeln sich schlechter. Sie sind anfälliger für Krankheiten und bilden keine gesunden Wurzeln aus. Verfügen die Keimlinge nicht über Endophyten, bilden sie weniger oder keine Wurzelhaare aus.
In verschiedenen Experimenten wurde die Rhizophagie von Keimlingen künstlich unterdrückt. Sie konnten wichtige Nährstoffe wie Kalzium, Kalium, Mangan, Phosphor, Schwefel oder Magnesium dann nur noch eingeschränkt aufnehmen. Die Mikroben verfügen über ausgeklügelte Mechanismen, die ihnen helfen, an die Nährstoffe zu gelangen.
Nutzen von Rhizophagie in der Landwirtschaft: Hilfe für die Pflanzen bei der Anpassung an die Umwelt
Die Rhizophagie hilft den Pflanzen, sich an die Umwelt anzupassen und sich gegen Stressfaktoren zu wehren. Da Endophyten überall vorhanden sind, läuft die Rhizophagie automatisch ab. Dieser Prozess wird durch einen gesunden Boden gefördert, wenn Bodenmikroben, organisches Bodenmaterial und die Pflanzen optimal zusammenspielen.
In der Landwirtschaft gilt es, auf einen gesunden Boden zu achten, um die Rhizophagie und damit die Pflanzengesundheit zu unterstützen. Ein gesundes Mikrobiom ist wichtig für die Samen, damit sich Saatgutmikroben ansiedeln können, die in großer Zahl an der Rhizophagie beteiligt sind. Ein Verlust der natürlichen Mikroben kann in der Landwirtschaft durch chemische Dünger, Agrochemikalien, Stickstoffanwendungen und Pflanzenzüchtungen verursacht werden. Die gezüchteten Sorten verfügen nicht über genügend Endophyten und sind daher anfälliger gegen Krankheiten. Sie bilden nur wenige Wurzelhaare aus. Auf sterilisiertes oder antimikrobiell behandeltes Saatgut sollte verzichtet werden, da die Rhizophagie gestört wird.
Künftig könnten endophytische Bakterien genutzt werden, um gesunde, widerstandsfähige Nutzpflanzen zu züchten, denen der Klimastress weniger ausmacht. Es gibt bereits Überlegungen, Mikroorganismen als Bioherbizide zur Unkrautbekämpfung zu entwickeln.