Schneiden Sie eine Tomate oder einen Kürbis auf, kann es in seltenen Fällen passieren, dass sich keimende Samen darin befinden. Dabei handelt es sich um das Phänomen der Viviparie, der Lebendgeburt. Die Viviparie ist selten, kann aber bei einigen Obst- und Gemüsearten vorkommen.
Was ist Viviparie?
Der Begriff Viviparie stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Lebendgeburt. In der Tierwelt ist die Viviparie bei Säugetieren ein wichtiges Merkmal der Fortpflanzung. Im Mutterleib werden die Embryonen ernährt, um dann lebend geboren zu werden. Bei Pflanzen liegt eine Viviparie vor, wenn sich eine Frucht noch an der Mutterpflanze befindet und in der Frucht die Samen keimen.
Für die Keimung der Samen sind die Pflanzenhormone Abscisinsäure und Gibberellinsäure verantwortlich. Abscisinsäure verhindert eine frühzeitige Keimung, während Gibberellinsäure die frühzeitige Keimung fördert. Abscisinsäure hemmt seinen Antagonisten Gibberellinsäure. Kommt es zu einer Viviparie, wird das Pflanzenhormon Ascisinsäure zu früh abgebaut, sodass Gibberellinsäure und andere Pflanzenhormone die Keimruhe aufheben. In der Folge keimen die Pflanzensamen schon in der Frucht, die noch mit der Mutterpflanze verbunden ist.
Echte und unechte Viviparie: nicht immer eine Ausnahme
Bei der Viviparie bei Pflanzen wird zwischen der echten und unechten Viviparie unterschieden. Die echte Viviparie wird auch als Kryptoviviparie bezeichnet und ist eine Form der geschlechtlichen Fortpflanzung. Der Samen keimt, ohne dass er die Frucht verlässt.
Die unechte Viviparie wird auch als Pseudoviviparie oder falsche Viviparie bezeichnet. Es handelt sich um eine ungeschlechtliche Fortpflanzung. Im Blütenstandsbereich bilden sich vegetative Brutknospen. Bei der unechten Viviparie tauschen sich die Pflanzen nicht genetisch aus.
Die Jungpflanzen haben bei der unechten Viviparie immer die gleichen genetischen Merkmale wie die Mutterpflanze. Ein Beispiel dafür ist der Knöllchen-Knöterich. Er pflanzt sich ungeschlechtlich fort, indem sich im Blütenbereich kleine Knöllchen als Brutknospen bilden. Aus diesen Brutknospen bilden sich neue Pflanzen, die irgendwann abfallen. Nicht bei allen Pflanzen ist Viviparie ein seltenes Phänomen. Bei einigen Pflanzen ist Viviparie ein wichtiger Bestandteil im Lebenszyklus.
Viviparie als reguläre Verbreitungsstrategie: Pflanzen unter schwierigen Bedingungen
Die Viviparie ist eine reguläre Verbreitungsstrategie bei einigen Pflanzen. Sie tritt zumeist bei Pflanzen auf, die unter Bedingungen wachsen, die dem Keimling das Überleben nicht möglich machen würden, wenn er einfach von der Mutterpflanze abgeworfen wird. Alpengräser sind ein typisches Beispiel dafür, da sie von Schnee umgeben sind. Der Knöllchen-Knöterich wächst in Höhen von 1.000 bis 3.000 Metern und hat sich durch die Viviparie an diese Bedingungen angepasst. Die Knöllchen bilden im Sommer Blättchen aus und fallen im Herbst als fertige Pflanzen von der Mutterpflanze ab, um dann schneller zu verwurzeln. Die Rote Mangrove ist ein weiteres Beispiel. Die Mutterpflanze ist von Wasser umgeben und bildet bereits aus ihren Früchten Keimlinge aus. Diese Keimlinge sind schwimmfähig und werden vom Gezeitenstrom fortgetragen. Sie schlagen dort Wurzeln, wo die Bedingungen für sie günstig sind.
Viviparie als zufällige Mutation: äußerlich nicht immer erkennbar
Viviparie kann zumindest theoretisch bei jeder Pflanze auftreten, die Früchte trägt. Sie ist mitunter bei Tomaten anzutreffen, doch können Sie sie auch bei
in seltenen Fällen beobachten. Äußerlich ist die Viviparie nicht sichtbar, wenn sie erst im Anfangsstadium ist. Sie erkennen die Viviparie erst, wenn Sie die Frucht aufschneiden. Im Inneren befinden sich Keime, die optisch an Kresse oder kleine Würmer erinnern. Mitunter bilden die Keime schon Blätter aus. Irgendwann werden die Keime größer und bohren sich durch die Frucht hindurch. Die Viviparie kann bei einem außergewöhnlichen Klima, aber auch Überreife oder einer zu langen Lagerung der Früchte auftreten.
Tipp: Eine Tomate mit Viviparie wirkt zwar nicht gerade appetitlich, doch können Sie sie essen, wenn Sie die Keime entfernen. Die Keime enthalten Solanin, das schwach giftig ist. Einen Kürbis mit Viviparie sollten Sie nicht mehr essen, da er auch vom giftigen Zierkürbis befruchtet sein kann.
Pflanzen mit Viviparie vermehren: Früchte zerteilen
Möchten Sie eine Tomate mit Viviparie nicht essen, können Sie daraus neue Pflanzen ziehen. Da es sich bei dieser Form der Viviparie um eine echte Viviparie handelt, sind die Nachkommen der Pflanzen keine genetischen Abbilder ihrer Mutterpflanze. Es kann sich also bei den daraus wachsenden Pflanzen um eine andere Sorte handeln. Möchten Sie aus einer solchen Tomate neue Pflanzen ziehen, müssen Sie nur die Frucht vorsichtig zerteilen, ohne die Keime zu beschädigen. Die Fruchtstücke legen Sie in Anzuchterde und gießen sie an.